RC Magazin 2016 - page 30-31

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Der Oldtimer – nicht einfach nur ein altes Auto
Wenn man sich mit Altblechenthusiasten unterhält, hört es sich so einfach an: Ein mindestens 30
Jahre altes Kraftfahrzeug ist ein Oldtimer. Punkt. Das aber stimmt so nicht generell. Bis ein klassi-
sches Automobil mit dem Ritterschlag „technisches Kulturgut“ geadelt wird, muss es ein paar (über-
windbare) Hürden nehmen. Doch welche sind das? Und wie geht das denn nun mit dem begehrten
„H“? Um Ihnen, liebe Leser, dies nachvollziehbar zu erläutern, haben wir die Experten vom TÜV
Rheinland gefragt. Björn Neumann, Vertriebsmanager bei „TÜV Rheinland Mobilität“ hat uns Rede
und Antwort gestanden.
Text und Interview: Tobias Zoporowski
1. Für viele Liebhaber klassischer Automobile wird ein Fahr-
zeug im Alter von 30 Jahren „automatisch“ zum Oldtimer.
Aber: Ganz so einfach ist es ja nicht. Was genau muss man
tun, um sein Fahrzeug als Oldtimer einstufen zu lassen?
Das Fahrzeug muss nach § 23 StVZO begutachtet werden
und wenn diese Bewertung positiv ausfällt, wird das Fahr-
zeug als kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut eingestuft.
2. Wie unterscheidet sich die Begutachtung eines Automo-
bils im Hinblick auf die Zuteilung des H-Status von der
„normalen“ Hauptuntersuchung?
Bei der Begutachtung zur Einstufung als Oldtimers im Rah-
men der Oldtimer Richtlinie wird auch die Verkehrstaug-
lichkeit und Vorschriftsmäßigkeit (Hauptuntersuchung)
überprüft. Hinzu kommt die Bewertung im Rahmen der
Oldtimer Richtlinie zu den Punkten Originalzustand, zeit-
genössische Umbauten etc.
3. Welche Kriterien sind für den H-Status ausschlaggebend?
Das Fahrzeug muss vor mindestens 30 Jahren in den Verkehr
gekommen sein und weitestgehend demOriginalzustand ent-
sprechen. Ohne technische Mängel unter Berücksichtigung
des damaligen Stands der Technik. Leichte Gebrauchsspuren
(Patina ja, aber Fahrzeug nicht verbraucht), wesentliche Teile
dürfen nicht fehlen. Keine erkennbaren Unfallschäden oder
unsachgemäße Instandsetzungen.Wesentliche Baugruppen
befinden sich weitgehend in Originalkonfiguration.
4. Inwieweit darf ein „Oldtimer“ vom Originalzustand ab-
weichen?
Zeitgenössische Umbauten sind möglich, d.h. übliche Ände-
rungen in den ersten 10 Jahren nach Erstzulassung.
5. Wie sieht es aus, wenn ein Vorbesitzer etwa ein Abgasrei-
nigungssystem (in den späten Achtziger- und Neunzigerjah-
ren waren u.a. „HJS-Kats“ ja schwer in Mode) nachgerüstet
hat? Muss dieses für eine H-Abnahme entfernt werden?
Grundsätzlich können Systeme, die nachweislich das Abgas-
verhalten verbessern, eingebaut bleiben, wenn sie den Anfor-
derungen der §52. AusnVO zur StVZO entsprechen.
6. In anderen Bundesländern – etwa in Hessen – soll es Fälle
gegeben haben, in denen der H-Status verweigert wurde, weil
im Fahrzeug ein „modernes“ Autoradio verbaut war. Ist eine
solche Entscheidung Ermessenssache des jeweiligen Prüfers
oder würden Sie dies generell auch befürworten?
Für Radio und Unterhaltungstechnik gilt nur der fachge-
rechte Einbau ohne wesentliche optische Veränderungen
von Armaturenbrett und Innenraum. Wenn hier also nichts
großartig verändert wurde, können auch moderne Radios
eingebaut werden.
7. Wie geht es nach der H-Abnahme weiter? Geht man mit
dem entsprechenden Gutachten einfach zur Zulassungsstelle
und meldet sein Fahrzeug um oder gilt es noch, „Zwischen-
schritte“ zu beachten?
Hier ist der Gang zur Versicherung zu empfehlen, da hier
oftmals ein zusätzliches Wertgutachten verlangt wird und
dann kann man das Fahrzeug direkt bei der Zulassungsstelle
anmelden.
8. Hat das H-Gutachten bzw. die Zulassung Bestandsschutz
oder kann es auch wieder aberkannt werden?
Bei nachträglichen Änderungen der Inhalte unter Punkt 3 ist
eine Aberkennung des „Oldtimerstatus“ möglich.
9. Viele Kritiker befürchten, dass mit der großen Anzahl
technisch intakter und recht solider Fahrzeuge der Achtzi-
ger- und frühen Neunzigerjahre eine „Oldtimerschwemme“
droht, der man nur begegnen könne, indem man – wie etwa
in den Niederlanden – das Mindestalter für Oldtimer auf 40
Jahre herauf setzt. Sehen Sie das ähnlich oder ist die Sorge
unbegründet?
Generell können solche Anpassungen der Vorschriften um-
gesetzt werden, sind jedoch aus meiner Sicht momentan
nicht sehr wahrscheinlich.
Ratgeber Oldtimerkauf – Das sollten Sie wissen!
Wohl die meisten Oldtimerfahrer sind über ihre Kindheits- und Jugendträume zum Altblechhobby gekommen. Was auch
bedeutet, dass es sich um ein hochemotionalesThema handelt.Die Anschaffung eines historischen Fahrzeuges ist schon allein
aus diesem Grund mit einem „normalen“ Autokauf – eines Gebraucht- oder Neuwagens – kaum zu vergleichen. Man sollte
vielmehr seine Sinne schärfen und sich schon vorab einige grundlegende Fragen beantworten.
Welchem Zweck soll der Klassiker dienen? Soll er bei
gelegentlichen Ausfahrten Freude bereiten oder gar ein
vorhandenes Alltagsfahrzeug ersetzen?
In welchem Rahmen bewegt sich Ihr zur Verfügung
stehendes Budget? Beachten Sie, dass ein betagtes Au-
tomobil immer auch unerwartete Instandsetzungskosten
verursachen kann.
Können Sie selbst Hand anlegen oder sind Sie für War-
tung und Reparatur auf eine Werkstatt angewiesen? Auch
das kostet.
Teilt Ihre Familie die Leidenschaft für Oldtimer? Dann
scheiden schnittige Roadster oder enge Sportwagen
möglicherweise aus.
Können Sie Ihrem neuen Blechliebling einen adäquaten
Stellplatz, sprich: eine trockene Garage, anbieten?
Informieren Sie sich zunächst über die Marktsituation, in-
dem Sie einschlägige Fachmagazine und deren Kleinanzei-
gen studieren. So bekommen Sie ein Gefühl für Preise.Wenn
Sie Oldtimer-Neuling sind, empfiehlt es sich, jemanden zum
Besichtigungstermin mitzunehmen, der sich mit klassischen
Fahrzeugen auskennt. Auch die zahlreichen Markenclubs,
die Sie überall im Bundesgebiet finden, helfen in der Regel
gern und teilen Ihr Fachwissen mit Ihnen.
Präparieren Sie sich für die anstehende Fahrzeugbesichti-
gung mit folgenden Hilfsmitteln:
Taschenlampe
Schraubendreher
Magnet
Spiegel (möglichst verlängerbar)
Digitalkamera
(eine gute Smartphone-Kamera tut´s auch)
Beachten Sie, wenn Sie eine Besichtigung und eine Probe-
fahrt vereinbaren, unbedingt folgende Punkte:
Eine Besichtigung sollte unbedingt bei trockenem Wet-
ter stattfinden! Nur so können Sie Lackmängel und even-
tuelle Rostschäden sicher erkennen.
Das Fahrzeug sollte auf geradem Untergrund stehen. So
erkennen Sie, ob es an irgendeiner Stelle „hängt“ (Fahr-
werksschäden o.ä.)
Fragen Sie den Verkäufer nach dem Grund für den Ver-
kauf. Es ist verdächtig, wenn er sein Auto in den höchsten
Tönen lobt, es aber dennoch „plötzlich“ abgeben will.
Fragen Sie den Verkäufer nach zusätzlichen Merkmalen,
die über den Text eines Inserates hinausgehen. So können
Sie feststellen, wie gut er sein Auto kennt.
Versuchen Sie, den Pflege- und Wartungszustand an-
hand von entsprechenden Dokumenten („Ölzettel“ im
Motorraum) nachzuvollziehen. Eine lückenlose Historie,
eventuell sogar mit Bildern einer früheren Restauration,
ist immer gut.
Befindet sich das Fahrzeug nicht im Originalzustand,
wurde es „getunt“, sollte der Verkäufer die Rechtmässig-
keit aller Umbauten nachweisen können. Vorsicht: Nur
bei zeitgenössischen Bauartveränderungen ist eine H-
Zulassung möglich!
Vertrauen Sie bei der Probefahrt auf Ihr „Popometer“,
fahren Sie mit allen Sinnen: Wie fühlt sich das Auto an?
Wie klingt es? Wie riecht es? Schalten Sie alle Gänge
durch, beschleunigen und bremsen Sie beherzt.
Nach der Probefahrt: Kontrollieren Sie den Boden unter
dem Fahrzeug. Verliert es Betriebsstoffe?
Wenn Sie unsicher sind, bestehen Sie auf eine professi-
onelle Begutachtung des Fahrzeuges in einer Kfz-Werk-
statt oder durch eine Prüforganisation wie ADAC, TÜV,
Dekra & Co. Wenn der Käufer nichts zu verbergen hat,
wird er Ihnen das nicht verwehren.
Diese Tipps können eine ausführliche Beratung und Begut-
achtung nicht ersetzen, mögen Ihnen aber dabei helfen, Ih-
rem Traum vom Automobilklassiker ein gutes Stück näher
zu kommen.
Tobias Zoporowski
Björn Neumann
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